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«Ich habe gemischte Gefühle, wenn ich an 1971 zurückdenke»

Hedy Jager: «Männer müssen zwischen Beruf und Politik wählen, Frauen zwischen Familie, Beruf und Politik.» (Bild: Anouk Arbenz)
Hedy Jager: «Männer müssen zwischen Beruf und Politik wählen, Frauen zwischen Familie, Beruf und Politik.» (Bild: Anouk Arbenz) Bild: Anouk Arbenz
Am Sonntag feiern wir 50 Jahre Schweizer Frauenstimmrecht. Im Kanton Schwyz wurde dieses erst ein Jahr später eingeführt. Mit Hedy Jager haben wir über veraltete Rollenbilder, fehlende Politikerinnen und die Frauenquote gesprochen.

Mit Hedy Jager sprach Anouk Arbenz

Fünfzig Jahre sind eigentlich nicht viel, wenn man darüber nachdenkt. Heute ist es in der Schweiz selbstverständlich, dass auch Frauen abstimmen und gewählt werden dürfen. Dass es auch in anderen Ländern noch nicht lange her ist, merkt man dann, wenn Frauen gegen Abtreibungsverbote oder andere Gesetze demonstrieren. Und auch während der Coronapandemie fällt auf, dass es vor allem Frauen sind, die leiden müssen. Dieser «Rückwärtstrend» in Sachen Gleichstellung mache Hedy Jager Angst, wie sie im Interview zugibt.

Vor 50 Jahren wurde das Frauenstimmrecht in der Schweiz eingeführt. Was haben Sie für Erinnerungen an den Tag? 

Die Freude war gross an diesem Tag, auf den auch ich hingearbeitet hatte. Es ist aber schon davor viel passiert, die Jahren zwischen 1959 und 1971 waren bewegte Jahre. Es war eine Zeit des Aufbruchs, in der man Autoritäten hinterfragte und über Gleichberechtigung sprach. In viele Kantonen gab es auf kommunaler und kantonaler Ebene bereits Abstimmungen zum Frauenstimmrecht. Ich habe gemischte Gefühle, wenn ich an 1971 zurückdenke. Schlechte, weil der Kanton Schwyz das Frauenstimmrecht ablehnte, gute, weil eine Aufbruchsstimmung spürbar war. 

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«Und siehe da: Das Schwyzer Volk wählte eine Frau zur Nationalrätin. Das war eine aussergewöhnliche Situation.»
Hedy Jager

Was für Hoffnungen hatten Sie in Bezug auf die Einführung des Frauenstimmrechts? 

Es war eine Zeit, in der das eigentliche Frauenthema noch nicht so im Fokus war. In den 60er-Jahren waren es vor allem linke Frauen, Frauen aus den Gewerkschaften und die Frauenbefreiungsbewegung, welche diese Themen aufnahmen. Wer hinter diesen Meinungen stand, wurde in die negativ besetzte Ecke der Emanze gestellt. 1975 fand dann der erste Frauenkongress statt, getragen von bürgerlichen Frauen. Dieser hat es ganz vielen Frauen ermöglicht, sich intensiver mit den Frauenfragen auseinanderzusetzen – und das öffentlich. 

Wo hat man grosse Fortschritte gemacht im Vergleich zu damals? 

Auf der gesetzgeberischen Seite hat man fast alles gemacht. Jetzt geht es noch um die grossen Sozialversicherungsfragen und die Frage der Verteidigung. Wir haben damals einen Gesamt- anstelle des Militärdienstes verlangt. Da sind wir offensichtlich nicht weitergekommen (lacht). 

Mit Dreizehn Jahren kamen Sie ins Internat. Sprach man dort über das Frauenstimmrecht?

Ja, es gab Diskussionen. Damals war die Meinung verbreitet, dass man den Frauen das Stimmrecht in sozialen und in Schulbelangen geben soll. Das heisst: Sie dürfen in den Schulrat und in die Fürsorge. Eine Schülerin in meiner Klasse entgegnete: «Und was ist mit dem Bauamt? Eine Frau wohnt und haushaltet – sie weiss am besten, wie man ein Haus sinnvoll gestaltet. Und was ist mit Frauen, welche die Finanzen ihres Haushalts kontrollieren – dürfen Sie nichts zu anderen Finanzen sagen?» Das blieb bei mir hängen.

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«Nur vier von hundert waren Frauen, und diese alle aus der CVP. Das hat nicht nur mich erschrocken.»
Hedy Jager

Hintergrund zum Frauenstimmrecht

Anders als in anderen Ländern blieb die Schweiz vom Krieg verschont. In anderen Ländern hatte dies dazu geführt, dass man merkte, was die Frauen alles leisten. Sie waren es, die den «Laden» zusammenhielten, als die Männer an der Front waren. «Aber 1959 hätte es eigentlich klappen müssen, das sage ich nach wie vor», sagt Hedy Jager. Dann, nachdem das Stimmrecht für die Frau vom Schweizer Stimmvolk 1971 angenommen wurde, kam ein grosses Gemeinschaftsgefühl auf: «Wir Frauen und Männer zusammen.» Verbände von Frauen und Männern fusionierten en Masse. Ende der 70er merkte man, dass man so nicht vorwärts kommt. Es war auch die Zeit, als die Initiative «Gleiche Rechte für Mann und Frau» in Bern lanciert wurde. Diese kam 1981 zur Abstimmung. «Dieser Abstimmungskampf war sehr schwierig für die Frauen, weil man als «Emanze» in eine negativ besetzte Ecke gestellt wurde», erzählt Jager. «Vor einem Auftritt musste man gut abwägen, ob man es hinbringt, ein paar Unentschlossene für die Initiative zu gewinnen.» Die Initiative wurde im Kanton Schwyz massiv abgelehnt. 

Nach dem Tiefpunkt im Jahr 1988, als nur vier von hundert Kantonsräten Frauen waren, merkte man, dass Frauen mehr gefördert werden müsse. «Man hat dann geschaut, dass Frauen besser auf Listen und in Gremien kommen. Bei der CVP zum Beispiel hat man eine Quote von 30 Prozent eingeführt.» Doch bis heute ist der Kanton Schwyz ein schwieriger Kanton geblieben, wenn es um das Thema Gleichstellung geht. Denn auch heute sind es nur 10 Frauen im Kantonsrat.

 

 

 

«Die Pandemie gefährdet die Frauenförderung, denn in Krisenzeiten fallen wir in die alten Rollenbilder zurück.»
Hedy Jager

Wie erklären Sie sich die Ablehnung im Kanton Schwyz?

Die Schwyzerinnen und Schwyzer waren noch nicht so weit. Dann kandidierte Elisabeth Blunschy im selben Jahr als Mitglied der CVP für den Nationalrat. Wählen durften da auch Schwyzerinnen, weil es sich um eine nationale Wahl handelte. Und siehe da: Das Schwyzer Volk wählte eine Frau zur Nationalrätin. Das war eine aussergewöhnliche Situation. Der Kanton ist aufgewacht und hat realisiert, dass er nicht der Letzte sein will, der das Stimmrecht für Frauen einführt. (...)

Trotzdem blieb es in Sachen Gleichstellung schwierig im Kanton Schwyz. Wir haben heute gerademal zehn Frauen im Kantonsrat…

Männer müssen zwischen Beruf und Politik wählen, Frauen zwischen Familie, Beruf und Politik. Dadurch, dass sich Frauen Gedanken zur Vereinbarung von Familie und Beruf machen, überlegen sie sich genau, welche berufliche Ausbildung sie verfolgen möchten. Der Beruf ist ein wichtiges Standbein. Ein anderer Grund ist wohl die Politik selber. Das Bild, das nach Aussen vermittelt wird, ist nicht sehr attraktiv. Manchmal denkt man sich: «Findet lieber Lösungen statt auf euren ideologischen Standpunkten zu beharren.» 

«Damals war die Meinung verbreitet, dass man den Frauen das Stimmrecht in sozialen Belangen und in Schulbelangen geben soll. Das heisst: Sie dürfen in den Schulrat und in die Fürsorge. »
Hedy Jager

Sie sagen, Familie ist ein reines Frauenthema. Hat sich das denn nicht geändert?

Am Anfang war Familie sicher nur ein Frauenthema. Man schaute, dass es Teilzeitstellen für Frauen gibt und in den 90er-Jahren entstanden Kinderkrippen. Die Frage: «Wie bringe ich alles unter einen Hut?» wurde auf dem Buckel der Frauen gestellt. Das hat sich jetzt mit der neuen Generation von Männern schon geändert. Zudem sind die Frauen heute besser ausgebildet und eher bereit, Karriere zu machen. 

Das ist vielleicht gerade das Problem; dass man sehr stark auf die Frauen fokussiert und die Männer beim Gleichstellungsthema vergisst. Wenige Männer haben die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten. 

Bei den Männern hat sich nichts bewegt. Es war nicht verpönt, wenn Frauen Teilzeitstellen angenommen haben, aber es war sicher verpönt, wenn Männer reduziert haben. Ich kann mir vorstellen, dass das in gewissen Berufen nach wie vor ein Thema ist. 

Sie waren in Ihrer Karriere oftmals «die erste Frau». Fühlten Sie sich je benachteiligt oder wurden anders behandelt als ihre Vorgänger?

Ich war tatsächlich einige Male die erste Frau (s. Box). Mein Vorteil war: Ich befand mich mit dem Thema Schule nicht in einer Männerdomäne. Natürlich musste man sich durchsetzen und die Bevölkerung hat wohl genauer hingeschaut, was die Gemeindepräsidentin da macht, aber es ist mir gut ergangen und ich habe mich recht gut vom Gemeinderat getragen gefühlt. Aber ich muss sagen: Das können nicht alle Frauen von sich behaupten. 

(...)

Machen es sich die Frauen auch selber schwer?

Das ist sicher so, dass die Eine oder Andere zu wenig mutig ist. Alle Frauen sind mehr oder weniger sozialisiert in traditionellen Rollenbildern, die früher oder später bewusst oder unbewusst wieder hochkommen. Vielleicht braucht es eine neue Generation, um als Gesellschaft diese Bilder bewusst ablegen zu können. 

Welchen Einfluss hat die aktuelle Krise auf diese Entwicklung?

Keinen guten. Die Pandemie gefährdet die Frauenförderung, denn in Krisenzeiten fallen wir in die alten Rollenbilder zurück. Frauen leiden dann stärker, müssen reduzieren, steigen aus oder verlieren ihren Job.

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«Es war nicht verpönt, wenn Frauen Teilzeitstellen angenommen haben, aber es war sicher verpönt, wenn Männer reduziert haben.»
Hedy Jager

In der Gesellschaft und in der Wirtschaft ist in Bezug auf Gleichstellung ein Druck entstanden. Ist dieser  positiv und nachhaltig?

Der Druck ist da. Die Diskussion der Quotenfrage in den 80er-Jahren ist wiedererwacht – nicht nur auf der politischen Ebene, auch in der Wirtschaft. Nach wie vor hat es Berechtigung zu sagen, dass die Quote keine gute Lösung ist oder dass man sie als Frau nicht will, aber trotzdem: In den 80er-Jahren hat man gesehen, dass die Quote fruchtet. Deshalb bin ich nicht abgeneigt, dass man sich diese Frage jetzt wieder stellt. Wenn man sieht, dass Frauen auch in hohen Positionen sehr viel leisten können, motiviert das sehr. Junge Frauen haben heute nicht viele solche Identifikationsfiguren. 

Und die Frauen, die man als Vorbilder hätte, sind meist sehr «abgehärtet», weil sie die Ellenbogen ausfahren mussten, um überhaupt dahin zu kommen, wo sie jetzt sind …

Das ist wieder das Problem der ersten Frau, die unter viel mehr Druck steht. Wenn aber drei, vier Frauen da oben sind, dann muss man nicht mehr so hart kämpfen. Es muss erst normal werden.

Zur Person

Hedy Jager ist 1946 geboren und in Siebnen aufge-wachsen. Mit 26 Jahren kandidierte Sie erstmals für den Kantonsrat, ein zweites Mal 1988, als sie gewählt wurde und acht Jahre Kantonsrätin war. Sie war die erste Frau im Gemeinderat (1990) und die erste Gemeindepräsidentin von Freienbach (1996–2004). Das höchste Amt nahm sie auch beim Verband Schwyzer Gemeinden und Bezirke (VSGB) ein, der 2006 gegründet wurde. Jager war in Spitzenpositionen der Justitia et Pax, einer Kommission der Schweizerischen Bischofskonferenz, und bei Pro Infirmis und fungierte ab 2009 als Präsidentin der Gemeinnützigen Gesellschaft Kanton Schwyz. Sie engagierte sich für zahlreiche Ausstellungen und Projekte übernahm an verschiedenen Events auch die Moderation. Hedy Jager ist verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in Pfäffikon.

 

Anouk Arbenz, Redaktion March24/Höfe24