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Sport
01.09.2021

Ein Exot unter Exoten

Das mongolische Langlaufteam hat glücklich den Gipfel des Chasseral erreicht.
Das mongolische Langlaufteam hat glücklich den Gipfel des Chasseral erreicht. Bild: Franz Feldmann
Der Höfner Langläufer Steve Hiestand trainierte während einer Woche die mongolische Langlauf-Nationalmannschaft.

Klick, klack, klick, klack. Ein junges Reh kreuzt die Strasse und schaut verwundert. In regelmässigem Abstand tönt es von der geteerten Strasse zurück zum Reporter, der einen Tag in Magglingen und Umgebung verbringt. Was erzeugt das monotone Geräusch, begleitet von surrenden Rollski und schnellem Schnaufen?

Es ist die mongolische Langlaufnationalmannschaft, die an diesem Tag auf Rollski und mit langen Stöcken der Strasse entlang auf den Chasseral rennt, fast so schnell wie die nächsten drei Rehe, die weiter oben friedlich in Sichtweite grasen. Intervalltraining steht auf dem Programm. Angetrieben werden die fünf Athletinnen und Athleten von einem weissen Bus, der mit den Logos des Schweizer Skiverbandes angeschrieben ist. Am Steuer sitzt jedoch kein helvetischer Verbandsfunktionär, sondern Steve Hiestand. Steve Hiestand? Den kennen wir spätestens seit dem letzten Langlauf-Weltcupfinale im Engadin. Der Höfner läuft in einem leuchtenden, grün-gelben Dress für die brasilianische Langlauf-Nationalmannschaft und versucht, sich in diesem Winter für die Olympischen Spiele in Peking zu qualifizieren (wir berichteten). Ein Schweiz-Brasilianer für die Mongolen? Ein Exot, der andere Exoten trainiert? Die Story tönt fast zu gut, um wahr zu sein. Für eine Woche ist sie Tatsache.

Ein Geben und Nehmen

Nach dem Training sitzt Steve Hiestand am Restaurant Bellavista in Magglingen. Das Restaurant trägt seinen Namen zurecht. Der Blick gleitet hinaus, weit über den malerischen Bielersee. Doch Magglingen ist in der Regel kein Ferienlager. Das ist es auch für die Mongolen nicht. «Ja, ich gehöre auch zu den kleinen Langlaufnationen», sagt Hiestand. «Ich strebe eine Kooperation unter den ‹Langlaufexoten› an.» Da kam die Anfrage der Nachwuchsabteilung von Swiss-Ski gerade recht, das mongolische Skiteam für eine Woche zu betreuen, denn vom Schweizer Verband hatte niemand Zeit dafür gefunden. «Für mich ist der Sport ein Geben und Nehmen», erklärt der Höfner. Da sagte er schnell «warum nicht?». Denn der 36-Jährige sah auch die Möglichkeit, gleichzeitig ebenfalls trainieren zu können, um sich auf sein grosses Ziel vorzubereiten. Zudem rechnet sich Hiestand aus, dass er im kommenden Winter dafür vom Schweizer Skiverband ein Entgegenkommen erwarten darf, bei der Präparation seiner Ski zum Beispiel. Ein «Geben und Nehmen» also, wie es sich Steve Hiestand vorstellt.

Zuerst musste das Material angepasst werden. Bild: Franz Feldmann

Generell gefällt Hiestand die Rolle des Antreibers gut, denn das ist er an diesem Tag am Chasseral. Er sitzt am Steuer, alle 30 Sekunden ertönt ein Hupen. Drei Serien zu je zehn Durchgängen: 30 Sekunden Vollgas, 30 Sekunden Erholung, aber immer in Bewegung in Richtung Gipfel. Dies, nachdem ein kilometerlanges Einlaufen am Fusse des Berges erfolgt war. Die Mongolen nehmen die Anstrengung scheinbar mit Leichtigkeit, einzig die 17-jährige Athletin wird nach zwei Serien in den Bus geholt, die anderen machen tapfer weiter. «Ja, es macht Spass», so der Trainer. Tags zuvor hatte er das gleiche Training selbst absolviert. Auf dem Gipfel auf 1606 Metern über Meer ist die Stimmung aufgeräumt. Es scheint fast wie ein Bild aus einem Ferienlager: Selfies auf dem Felsen, Fotos von der schönen Gegend, die nach Hause geschickt werden.

Der steile Aufstieg musste im Training bewältigt werden. Bild: Franz Feldmann

Volleyball als Belohnung

Am Nachmittag gehts in die Turnhalle. «Volleyball» freuen sich die Asiaten, ihre Augen leuchten. Doch bis es so weit ist und Hiestand ein Einsehen hat, müssen die jungen Athletinnen und Athleten noch eine Stunde Yoga über sich ergehen lassen. Sie lachen zwar ab und zu bei den Verrenkungen auf der Matte am Boden, man merkt ihnen aber an, dass das Spiel mit dem Ball viel mehr Freude bereitet, darauf haben sie den ganzen Tag gewartet und zeigen ein teilweise beachtliches Können. Am nächsten Tag folgt ein weiteres Laufen auf den Rollski im wunderschönen Seeland, dem Bielerseeentlang in Richtung Ins und wieder zurück. Da ist Hiestand als Aktiver mit dabei. Im Sprint muss er sich vom viel jüngeren mongolischen Athleten abtrocknen lassen. Das tut der Stimmung im kleinen, asiatischen Team ebenfalls sichtlich gut. Spass macht es allen, auch dem Trainer: «Als Athlet und jetzt als Trainer gebe ich sehr gerne mein Wissen weiter. Noch schöner ist es, dies im internationalen Rahmen machen zu dürfen.» Der nächste Winter ist noch einen Moment entfernt. Die Mongolen sind da, um sich in Europa dafür vorzubereiten. Wo muss man den Langlaufsport im asiatischen Land ansiedeln? «In der Mongolei haben wir aktuell um die 200 bis 300 aktive Langläufer», sagt Dolmetscherin und Delegationsleiterin «Dagi» Dagiimaa Enkhamgalan auf Anfrage. Die Zeiten waren schon viel besser. Ende der 90er-Jahre war es ein Vielfaches, es herrschte in der Mongolei ein regelrechter Langlauf- Boom. Doch mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion brachen auch im Sport für die Mongolei schwere Zeiten an.

Das schöne Seeland lockte als Trainingskulisse. Bild: Franz Feldmann

Bald ist Schluss

Und wie schätzt Hiestand diese Trainingswoche ein? «In der Sprache habe ich den Anschluss noch nicht so ganz gefunden», lacht er. «Aber wenn ich die nonverbale Kommunikation anschaue, glaube ich, haben wir uns getroffen.» Es seien Sportler, die wollten alle etwas leisten. «Da sind wir alle gleich, egal, woher wir kommen.» Wenn er die Mongolen mit anderen Exotennationen vergleiche, dann «sind sie sehr gut unterwegs». Er müsse sich recht zusammenreissen, um mit ihnen mitzuhalten. Sich anstrengen muss Hiestand auch. Nächstens geht es nach Brasilien. Dort muss er sich in verschiedenen Qualifikationsrennen intern für das brasilianische Nationalteam aufdrängen. Noch einmal, dann soll für ihn Schluss sein. «Nächsten April werde ich vom Leistungssport zurücktreten», so der Familienvater. Ob es mit einer Trainerkarriere weitergeht, weiss er noch nicht. «Ich bin offen für alles. » Bis dahin werden er und auch die Mongolen noch viele weitere Berge hinaufkraxeln. Klick, klack, klick, klack …

Franz Feldmann, Redaktion March24 & Höfe24