Frau McMinn, Sie sind als Erziehungsberaterin in der March tätig. Wie gefällt Ihnen die Arbeit in Ausserschwyz?
Die Arbeit gefällt mir sehr gut und macht mir grossen Spass. Ich darf im Austausch sein mit Familien mit ihren kleinen Kindern, die sich mir gegenüber sehr offen zeigen und sie ein kleines Stück auf ihrem Weg quer durch den Entwicklungs- und Erziehungsalltag begleiten. Manchmal nur über eine kurze Zeit, aber immer wieder auch über Monate oder Jahre. Es ist toll, die Entwicklung der Kinder mitverfolgen zu dürfen. Ich darf auch immer wieder Neues dazulernen, weil auch die Eltern oft tolle Ideen und Inputs haben.
Sie haben das gleiche Amt auch in Einsiedeln inne. Gibt es regionale Unterschiede, was die Erziehungsfragen anbelangt?
Ich glaube, die Erziehungsfragen sind überall in etwa die gleichen. Es gibt da keine Unterschiede zwischen den Regionen. Was mich sehr freut ist, dass an beiden Orten der Anteil Väter, die in die Beratung kommen, immer stärker zugenommen hat. Dies mag verschiedene Gründe haben. Zum einen wohl, dass es für die heutige Generation der Väter immer selbstverständlicher wird, sich zu informieren und sich auch vermehrt in der Erziehung ihrer Kinder zu engagieren. Andererseits versuchen wir auch, Beratungstermine so zu legen, dass auch Väter diese wahrnehmen und davon profitieren können. Die Hemmschwelle, einen Termin bei der Erziehungsberaterin wahrzunehmen, ist wohl auch weniger gross als noch vor ein paar Jahren.
Sie sind selber Mutter zweier Kinder. Nun könnte man denken, dass eine ausgebildete Psychologin und Erziehungsberaterin zuhause immer heile Welt hat. Ist dies so?
Meine Kinder sind genau so unperfekt perfekt wie in allen anderen Familien. Wir haben gute Tage und wir haben schlechte Tage. Manchmal läuft es super, an anderen Tagen freue ich mich am Morgen schon auf den Abend, wenn die Kinder endlich im Bett sind. Vielleicht fällt es mir aus Sicht der Psychologin und Erziehungsberaterin manchmal ein wenig einfacher, die Hintergründe und den Entwicklungsstand der Kinder zu sehen, aber wir sind alle nur Menschen. Es wäre wohl auch nicht unbedingt im Interesse der Kinder, wenn immer alles einfach laufen würde. Sich entwickeln und älter werden hat auch mit Abgrenzung von den Erwachsenen zu tun und das läuft nicht wirklich konfliktfrei ab. Ich erlebe es ganz oft, dass Eltern zu mir kommen und sich Sorgen machen wegen der Kinder und weil es so anstrengend ist. Ich empfinde die beschriebenen Kinder oftmals als perfekt. Für die Eltern sehr anstrengend, ohne Frage, aber von der Entwicklung her genau da, wo sie sein sollten. Manchmal hilft es dann schon, wenn jemand zuhört, den Eltern das Vertrauen gibt und sagt, dass es gut kommt.
Aber Sie werden wohl nie an sich zweifeln oder an ihre Grenzen kommen wie andere Mütter?
Ich glaube, ein gewisses Mass an Zweifel braucht es immer. Es bringt mich immer wieder dazu, mir sehr viele Gedanken über mich, meine Kinder und deren Entwicklung zu machen. Und an unsere Grenze kommen wir doch alle immer wieder einmal. Manchmal auch darüber hinaus, aber wir schaffen das.
Demnach kennen Sie wahrscheinlich viele «Problem-Situationen» aus eigener Erfahrung. Hilft Ihnen das bei Ihrer Arbeit?
Ohne Zweifel durfte ich von meinen eigenen zwei Kindern in den letzten paar Jahren sehr viel lernen und es hilft mir auch sehr, mich in die Eltern und ihre Schwierigkeiten hineinzuversetzen. Natürlich profitiere ich aber nach all den Jahren als Erziehungsberaterin davon, dass die Eltern, die ich kennenlernen durfte, ebenfalls sehr gute Ideen und Ansätze haben. Zum Beispiel hat mir eine Mutter an einem Vortrag davon berichtet, dass sie jeweils gerne ein Foto von den Spielsachen im Laden macht, wenn ihr Kind etwas möchte. Es wird dann zwar nicht gekauft aber der Wunsch anerkannt und ernst genommen. Sie haben da eine Lösung für sich gefunden, die gut funktioniert und von solchen Inputs profitiere ich gerne und gebe sie weiter.
Mit welchen Fragen werden Sie am häufigsten konfrontiert?
Das sind ganz viele verschiedene Fragen, die oftmals Thema sind in den Beratungen. Gute Stichworte wären hier sicher Trotzalter, Grenzen setzen, Wutanfälle, Schlafprobleme, Streit zwischen Geschwistern/Kindern, Fragen rund ums Essen und allgemein zur Entwicklung. Das ist auch das Schöne an meiner Stelle als Erziehungsberaterin. Sie ist so vielfältig.
Gibt es dafür Standardantworten?
Braucht es die denn? Ich denke, die Stärke der direkten Beratung liegt gerade darin, dass jede Familie mit individuell wahrgenommenen Schwierigkeiten zu uns kommt und auch eigene Ressourcen mitbringt, die es zu stärken gilt. Das Vermitteln von Wissen mag immer in etwa das Gleiche sein, aber das Einordnen in den familiären Kontext ist jeweils sehr individuell.
Konnten Sie in diesen zwei Jahren immer irgendwie weiterhelfen oder gab es Fragen und Probleme, bei denen auch Sie keine Antwort hatten?
Die Erziehungsberatung ist ein niederschwelliges Angebot für die Eltern. Es gibt immer wieder Schwierigkeiten, wo es auch nötig und wichtig ist, Eltern und ihre Kinder an geeignete Fachstellen zu vermitteln. Die Zusammenarbeit klappt aber gut.
Welche waren dies und weshalb? Wie ging es weiter?
Ich stelle zum Beispiel als Erziehungsberaterin keinerlei Diagnosen. Dies übersteigt meine Kompetenz und hier verweisen wir die Eltern weiter an entsprechende Fachstellen. Was ich aber machen kann, ist Empfehlungen auszusprechen. Auch bin ich keine Anlaufstelle für Paarbeziehungsfragen oder Streitigkeiten. Diese kann ich nicht lösen.
Als Erziehungsberaterin geniessen Sie grosses Vertrauen. Haben Eltern in Ihrem Beisein schon Fehlverhalten wie Ohrfeigen, «Füdlitätsch» oder Schlimmeres gebeichtet?
Ja das kommt immer wieder vor. Es freut mich, wenn Eltern mir dies erzählen und ich sehe es als ein Zeichen von Vertrauen. Sich einzugestehen, dass man selbst in der aktuellen Situation nicht weiterkommt und sich Hilfe sucht, ist nicht selbstverständlich. Es ist sicher ein Thema, über welches nicht gerne gesprochen wird. Aber leider auch in der heutigen Zeit noch immer erstaunlich oft vorkommt.
Ab wann müssen Sie die Kesb oder andere Stellen einschalten?
Das Kindswohl steht an oberster Stelle. Es ist aber nie eine leichtfertige und vorschnelle Entscheidung und wir wägen jeweils viele Aspekte gegeneinander ab. Der Austausch ist hierbei sehr wichtig und wir fällen einen solchen Entscheid immer im Team.
Mussten Sie dies schon tun?
Wir haben im Auftrag der Kesb schon Familien begleitet.
Weshalb kommen Eltern meist in ähnlichen Situationen an ihre Grenzen?
Stress, wenig Unterstützung, die Finanzierung einer externen Kinderbetreuung ist nicht gerade günstig, Arbeitsbelastung, hohe Ansprüche an Kinder und an sich selbst, manchmal hätten wir Hilfe aber getrauen uns nicht, diese auch anzunehmen. Oftmals schauen Eltern auch zu wenig auf ihre eigenen Bedürfnisse, stecken ganz viel zurück. Aber im Prinzip ist es wohl so, dass, wenn es den Eltern gut geht, es auch mit den Kindern viel entspannter ist und es ihnen ebenfalls gut geht.
Wirkt sich die Coronakrise für Sie spürbar auf die Belastbarkeit der Eltern aus?
An den meisten Eltern, einschliesslich mir selbst, wird die Coronakrise nicht spurlos vorbeigehen. Es ist sicher so, dass sie eine zusätzliche Belastung darstellt, aber auch Chancen mit sich bringt. Oftmals fallen die Grosseltern als Betreuungsmöglichkeit aus oder sind reduziert, Eltern mit Homeoffice sind vor die Herausforderung gestellt, Kinder und Arbeit unter einen Hut zu bringen. Oft sind die räumlichen Verhältnisse sehr eng und ungünstig für Homeoffice, Homeschooling und Wohnen. Die sozialen Kontakte ausserhalb der Familien sind eingeschränkt und wir können uns auch nicht mehr ganz so entspannt bewegen wie vor Corona. Wir stecken gerade im Sozialbereich wichtige Bedürfnisse zurück. Wichtig deshalb, weil sie uns ermöglichen würden, auch auf uns selbst zu schauen. Ebenfalls schwierig ist es, dass die einzelnen Familienmitglieder weniger Rückzugsorte haben. Ein Kaffee mit der besten Freundin ist nicht mehr so ungezwungen wie vorher. Ein Feierabendbier mit Freunden momentan nicht gut möglich. Wo wir enger aufeinander sitzen ist auch das Konflikt- und Stresspotenzial grösser.
Inwiefern merken Sie das?
Ich stelle immer wieder fest, dass die Kinder als anstrengender wahrgenommen und empfunden werden. Eigentlich sind sie prima entwickelt und so, wie es sein sollte, aber die Eltern haben keine Kraft, Geduld oder Nerven mehr, dies aufzufangen. Sie berichten häufiger, dass sie erschöpft und müde sind, dass sie viel weniger geduldig sind, gereizter und auch schneller laut werden.