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Freienbach
22.01.2021

«Innert 48 Stunden verschwand alles, was ich mir aufgebaut hatte»

Bild: zvg
Die Freienbacherin Amanda Hessle-Gyr lebt seit rund 20 Jahren in Schweden und ist dort als selbstständige Übersetzerin, Reiseleiterin, Guide und Stadtführerin tätig. Durch die Coronakrise musste sie sich neu orientieren.

Der Liebe wegen ist Amanda Hessle-Gyr vor über 20 Jahren nach Schweden gezogen. Heute lebt die 41-Jährige mit ihren drei Kindern auf der idyllischen Insel Torsö im Westen des Landes. Seit 2012 ist die gelernte Reisebüro-Angestellte selbstständig und arbeitet als Übersetzerin im Bereich Tourismus, autorisierte Stadtführerin in Göteborg, Reiseleiterin in Süd- und Westschweden, Guide an Bord der Göta-Kanal-Schiffe im Sommer sowie Reiseleiterin in Schwedisch Lappland und Nordnorwegen im Winter.

«Grundsätzlich geht es mir und meinen Kindern hier in Schweden ausgezeichnet. Wir schätzen das verhältnismässig ruhige Alltagsleben auf unserer Insel sehr und sind dankbar für die wunderschöne Natur gleich vor der Türe. Und gerade in Pandemie-
Zeiten ist unser Wohnort sehr viel wert – mit den Wäldern und dem grossen See Vänern um uns herum hat man das Gefühl, dass man das Weltgeschehen zeitweise beinahe ganz vergessen kann», resümiert Hessle. 

 

Fehlender Kontakt in die Schweiz

So war die Familie persönlich nicht allzu sehr von der Corona-Pandemie betroffen. «Unser Corona-Alltag unterscheidet sich nicht allzu stark vom gewöhnlichen Alltag. Die Schulen waren immer geöffnet und wir konnten uns immer frei bewegen, vor allem hier in der Natur der Insel, aber auch in unserem Städtchen», erzählt die Auswanderin. Die Kinder hätten während der ganzen Krise die Musikschule besuchen können, nur gewisse Aktivitäten seien storniert worden. «Natürlich waren auch meine sozialen Kontakte
äusserst begrenzt. Trotzdem konnten wir aber immer Kontakt zu den nächsten Freunden pflegen und halt oftmals draussen was unternehmen. Wir waren bis anhin auch kerngesund und haben sehr viel Zeit miteinander verbringen können», beschreibt die gebürtige Höfnerin.

«Was halt zeitweise sehr traurig war – und immer noch ist –, ist der fehlende Kontakt zu unseren Lieben in der Schweiz. Auch wenn wir mehr denn je telefoniert haben, ist es halt nicht das Gleiche, wie wenn man sich persönlichen sehen und Zeit miteinander verbringen kann. Aber auch unserer Familie und unseren Freunden geht es so weit gut», sagt sie. Ihr Vater habe in diesen Tagen seinen 70. Geburtstag gefeiert. «Unsere Gedanken sind oft in der Schweiz und wir freuen uns schon jetzt riesig auf ein Wiedersehen», sagt sie.

Sämtliche Aufträge plötzlich weg

Beruflich hingegen änderte sich für Amanda Hessle vom einen Tag auf den anderen vieles. «Innert 48 Stunden verschwand im März alles, was ich mir in den vergangenen Jahren aufgebaut hatte», bringt es die 41-Jährige auf den Punkt. Sämtliche Aufträge seien plötzlich weg gewesen. «Die längeren Aufträge mit Gruppen aus der Schweiz, Stadtführungen, geführte Wanderungen, die Fahrten mit den Göta-Kanalschiffen, aber auch Übersetzungsaufträge und Vorlesungen – alles verschwand», fasst Amanda Hessle zusammen. Zu Beginn sei das sehr schmerzhaft gewesen, «da man sich nach jahrelanger harter Arbeit etwas aufgebaut hat, das einem am Herzen liegt». Auch Monate danach fühle sie sich manchmal traurig. «Mit Passion bei der Arbeit zu sein, kann sich als schwierig erweisen, wenn einem diese Passion plötzlich genommen wird.» Aber: «Ich bin von Grund auf eine positive Person und war von Anfang an entschlossen, diese Krise zu meistern», so Hessle.

Von der Hotelrezeption zu Telefonführungen für Blinde

Nebst Networking hat die Freienbacherin die Zeit genutzt, um mithilfe von professionellen Fotografen ihr Fotomaterial für zukünftiges Marketing zu verbessern. Ausserdem brachten sie ihre Webseite auf Vordermann. Im Sommer übernahm sie eine Teilzeitanstellung an der Rezeption eines Hotels am Göta-Kanal. Das rettete ihr einen Teil ihres Einkommens. Zudem hatte sie so Gästekontakt, «was mir sehr viel Energie und Freude geschenkt hat», erinnert sich Amanda Hessle. 

Durch das staatliche Lokalradio kam sie mit dem schwedischen Blindenverband in Kontakt. Dies führte dazu, dass sie im Sommer jeden Dienstag Telefonführungen für blinde und sehbehinderte Menschen angeboten hat. «Während drei Nachmittagen reisten wir entlang der ganzen Hurtigrutenstrecke von Bergen nach Kirkenes und während zwei weiteren Nachmittagen entlang des ganzen Göta-Kanals zwischen Göteborg und Stockholm. Dabei erzählt man auf beschreibende Weise und mit Details, was auf der Reise zu sehen ist», führt Hessle aus. Dieses Projekt habe ihr sehr viel Spass gemacht, und sie versuche nun, dies weiterzuentwickeln. «Ich denke, ich
habe da viele Möglichkeiten. Jetzt gerade via Telefon, aber später dann vielleicht in Kombination mit ‹richtigen› Reisen, während denen ich solche Gruppen begleite», so die
Wahl-Schwedin.

Des Weiteren habe sie versucht, sich der Online-Welt anzupassen. «So habe ich zum Beispiel einen Live-Stream zum Thema Hospitality angeboten und dabei auch den einen oder anderen Vorlesungsauftrag auffangen können», führt sie aus. «Ausserdem konnte ich im Sommer und teilweise auch im Herbst einige Kleingruppen während einigen Stunden hier in der Inselwelt, in Mariestad oder entlang des Göta-Kanals begleiten, und dadurch meine Guidearbeit zumindest ein wenig ausüben.»

Zusammenfassend könne sie sagen, dass sie sich und die Kinder bis anhin gerade so über Wasser halten konnte. Ein Teil Erspartes brauche es dazu, «und halt versuchen, die Ausgaben ein bisschen zu beschränken». Bis zum heutigen Tag habe sie als Einzelfirma noch keine einzige Krone an Hilfsleistungen bekommen. «Ich bin aber guten Mutes, dass auch wir ‹Kleinen› schlussendlich etwas unterstützt werden. Viele leiden stark unter der ganzen Situation. Auch ich hatte und habe wirklich zu kämpfen, konnte aber immer die Ruhe und halt eben auch Arbeitsfreude und Mut bewahren. Dabei haben unendlich viele Gespräche mit Kunden und Partnern, mit denen ich zusammenarbeite, sowie auch Freunden geholfen», resümiert die dreifache Mutter.

««Mit Passion bei der Arbeit zu sein, kann sich als schwierig erweisen, wenn einem diese Passion plötzlich genommen wird.»»
Amanda Hessle, gebürtige Freienbacherin

«Ich freue mich auf das bevorstehende Jahr»

Trotz allem versucht Amanda Hessle optimistisch, «aber auch realistisch», zu bleiben. «Es ist mir wichtig, für das Firmenjahr 2021 auch einen Plan B zu haben. Ich gehe davon aus, dass wir im Laufe der kommenden zwei Monate eine etwas deutlichere Entwicklung in eine positive Richtung sehen können. Dann wird es etwas einfacher, meine Aufträge planen zu können. Ich hoffe natürlich, dass die Göta-Kanalschiffe wieder verkehren werden und dass gegen Ende Sommer auch die ersten Gruppen aus der Schweiz wieder in die nordischen Länder kommen», wagt sie einen Blick in die Zukunft. Bis dahin werde sie versuchen, lokale Führungen entlang des Göta-Kanals und in der Insellandschaft zu planen. «Zusammen mit anderen Betrieben gilt es nun, den schwedischen Markt zu begeistern. Mehrere Türen stehen halboffen, und ich bin überzeugt, dass ich mich durchschlagen werde und dabei meiner Passion für den Tourismus treu bleiben kann. Es wird alles andere als einfach, aber ich freue mich trotzdem auf das bevorstehende Jahr», führt sie aus.

Hessle vermutet, dass man in der Gesellschaft und auch im Tourismus noch lange Konsequenzen dieser Krise spüren wird. «Ich glaube nicht, dass alles wird wie vorher. Aber ich glaube, dass es vielleicht sogar besser werden kann. Wir haben alle Voraussetzungen und Möglichkeiten, uns an neue Reisemuster und Bedürfnisse anzupassen, und auch in Zukunft nachhaltige Reisen anbieten zu können.» In drei, vier Jahren werde sie wieder mit den Kanalschiffen und mit kleineren Gruppen oben im Norden unterwegs sein. Auch lokal werde sie wieder regelmässig geführte Wanderungen und Stadtführungen anbieten. «Ausserdem möchte ich auch in Zukunft mein Wissen und meine Erfahrungen an andere vermitteln und werde weiterhin Referate halten.» All die Zeit, die sie im Corona-Jahr 2020 investiert habe, um neue Kontakte zu knüpfen und alte Kontakte zu pflegen, werde dabei ein grosser Vorteil sein für sie.

Irene Lustenberger, Redaktion March24/Höfe24