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«Explosion von kooperativem Verhalten»

Titelbild des Buches
Titelbild des Buches Bild: toggenburg24/Web/freie Nutzung
Der Mensch ist keine einsame und armselige Kreatur. Er wird auch nicht unweigerlich zu einem wilden Tier, wenn er in Freiheit ist.

Im Grunde ist der Mensch gut: Zu diesem Fazit kommt der Historiker Rutger Bregman. In seinem Buch schreibt er im Untertitel: «Eine neue Geschichte der Menschheit».

Er widerspricht darin den Philosophen wie Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau und nimmt somit den Menschen rein wissenschaftlich unter die Lupe.

Ist der Mensch grundsätzlich schlecht

«Was wäre, wenn in Bewährungssituationen unter dem dünnen Firnis der Zivilisation gar kein bösartiges, barbarisches Wesen zum Vorschein käme, sondern ein grundgutes? Eines, das nicht nur die eigenen Interessen im Blick hat, sondern auch die der Gemeinschaft. Ein Gedanke, der angesichts leer gekaufter Supermarktregale und zu Wucherpreisen gehandelter Atemschutzmasken in Zeiten der Corona Krise durchaus abwegig erscheint».

Der Mensch ist freiheitsliebend

Rutger Bregman meint, dass ein Blick in die Historie sich lohnt. Immerhin verschätzte sich schon Winston Churchill, weil er meinte, dass die deutschen Bombardements während des zweiten Weltkrieges nicht nur die britischen Städte zerstören, sondern auch Angst und Panik auslösen und somit den Verteidigungswillen der Bevölkerung schwächen würden. Doch die psychiatrischen Notaufnahmen blieben leer, und es ging sogar mit der mentalen Gesundheit der Briten bergauf, der Alkoholmissbrauch nahm ab und weniger Menschen begangen Selbstmord als angenommen. Das Fazit mutet etwas seltsam an: «Die britische Gesellschaft wurde durch den Luftkrieg in vielerlei Hinsicht stärker», schrieb ein britischer Historiker später. Jeder half jedem und zuletzt war Hitler enttäuscht?

Rutger Bregman Bild: toggenburg24/Web/freie Nutzung

Muss man den Menschen zivilisieren?

Jean-Jacques Rousseau war der Ansicht, dass die Zivilisation das eigentliche Verderbnis für den Menschen sei, ihn aus seinem seligen Naturzustand reisse, ihm die Freiheit raube und zu einem zynischen Egoisten forme. Sowohl Hobbes, als auch Rousseau hätten immer noch grossen Einfluss auf das heutige Menschenbild, meint Rutger.

«Die Wirtschaftswissenschaft fusste von Anfang an auf einem Hobbes'schen Menschenbild, nämlich dem des rationalen, egoistischen Individuums. Rousseau dagegen ist enorm einflussreich auf die Pädagogik geblieben, weil er daran glaubte, dass Kinder so frei wie möglich aufwachsen sollten (revolutionärer Gedanke aus dem 18. Jahrhundert)»

Rutger Bregman hinterfragt die gängige Narrative

Schon die Eingangsthese lässt vermuten, welcher der beiden Philosophen für den Autoren die grössere Überzeugungskraft besitzt. 

In seiner «neuen Geschichte der Menschheit» (Untertitel seines Buches) will Bregman die Welt nicht nur aus dem «Philosophensessel» heraus betrachten, sondern anhand von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Berichten und Untersuchungsergebnissen gängige Narrative hinterfragen. Dazu nimmt er die angeblichen Barbaren der Osterinsel.

Moai Skulpturen Bild: toggenburg24/Web/freie Nutzung

Zwischen zwei Stämmen sei vor Jahrhunderten ein blutiger Krieg entbrannt. Nach der Vernichtung des einen Stammes durch den anderen, begannen die übrig gebliebenen Inselbewohner sich gegenseitig zu töten und zu verzehren. Das war ein Beweis für Thomas Hobbes' Theorie, der Mensch ist des Menschen Wolf. Der Beweis lieferte offenbar auch die Reduzierung der Bevölkerungszahl. Doch es lebten gar nie 15'000 Einwohner, sondern nur 2'200. Laut Schätzungen von Entdeckungsreisenden schrumpfte die Bevölkerung von 15'000 auf 2'000. (Anmerkung der Redaktion, hier ist ersichtlich, wie veränderbar mündliche Überlieferungen sind.)

Auch Bregman konstatiert: die Tausende von Osterinsulanern, die sich gegenseitig gefoltert, getötet und gefressen haben sollen, hat es nie gegeben.

Ist der Mensch grundsätzlich böse? Bild: toggenburg24/Web/freie Nutzung

Was heisst böse?

«Wer über das Gute im Menschen schreibt, das weiß Rutger Bregman, muss sich die Frage stellen, wie der Holocaust, der planmäßig durchgeführte Mord an sechs Millionen Juden, zu erklären ist. Der Holocaust ist das Beispiel schlechthin für die unfassbare Grausamkeit, das unleugbar Böse, zu dem der Mensch nun mal fähig ist.»

Bregman folgt der Philosophin Hannah Ahrend und betrachtet Adolf Eichmann, den Organisator der Shoah, als Paradebeispiel für die «Banalität des Bösen». Eichmann sei kein Monster gewesen, sondern ein pflichtbewusster deutscher Schreibtischtäter, der aus der Überzeugung handelte, Schaden von dem Staat, dem er diente, abzuwenden. (Hannah Ahrend, Autorin des Buches: «Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen»)

Spruch ohne Angabe des Schreibers Bild: toggenburg24/Web/freie Nutzung

Nachvollziehbar

Bregman zeigt in seinem Buch, wie sich selbst Menschen, die bereit sind, Grausames zu tun, einreden müssen, dass das Böse doch irgendwie gut sei. Sonst würden sich ihre Taten gegen sie selbst richten.

An das Gute im Menschen glauben

Manchmal fühlt man sich in der Ratgeberecke, doch es gelingt Bregman über lange Strecken, scheinbare Gewissheiten in Frage zu stellen und überzeugende Argumente für seine, wie es heisst, radikale Idee ins Feld zu führen. Unterhaltsam bringt er Spannung in sein Buch, indem er den Leser am Prozess der Erkenntnissuche teilhaben lässt. Sein Buch ist ein lesenswertes Plädoyer dafür, an das Gute im Menschen zu glauben, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein.

Kurze Biografie

Rutger Bregman (* 26. April 1988 in Renesse) ist ein niederländischer Autor, Aktivist und Historiker.

Bregman studierte Geschichte an der Universität Utrecht und der University of California, Los Angeles.

Artikel von Bregman erschienen unter anderem in der Washington Post, auf BBC und in diversen niederländischen Medien. Er war zwei Mal für den European Press Prize nominiert. 

Hauptberuflich arbeitet er als Journalist im Ressort Fortschritt für die niederländische Nachrichtenplattform De Correspondent.

Beim Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums in Davos sorgte er im Januar 2019 für Aufsehen, als er eine «gerechte Besteuerung für Reiche» und ein Ende der Steuervermeidung forderte. Ein Videoausschnitt seiner Rede erreichte in kurzer Zeit 8 Millionen Aufrufe.

Patricia Rutz/Toggenburg24