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Tuggen
05.06.2025
13.06.2025 14:48 Uhr

Tuggen im Öl-Fieber

Bohrturm Tuggen mit Belegschaft (Foto von Jürg Wyrsch zur Verfügung gestellt).
Bohrturm Tuggen mit Belegschaft (Foto von Jürg Wyrsch zur Verfügung gestellt). Bild: zVg
Vor 100 Jahren – genau am 4. Juni 1925 – begann in Tuggen die Suche nach Erdöl. Drei ganze Jahre wird man suchen und eine Million Franken investieren – und kein Öl finden...

*Dieser Text erschien erstmals im Marchringheft 66/2020 unter dem Titel «Die Ölbohrung scheiterte, die Liebe siegte». Er erscheint jetzt in einer leicht überarbeiteten Version.

Ölsuche mit Wünschelruten

Die Ölsuche in der Linthebene beginnt auf obskure Weise: Unter Zuhilfenahme von Wünschelruten wird eine Kreuzung von zwei Erdöladern im Gelände im Eigentum der Genossenkorporation Tuggen vermutet. Ein Konsortium – darunter der Schwyzer Ständerat Dr. Joseph Räber (1875-1934) – bildet sich, welches mit den technischen Vorarbeiten betraut wird und einen Kostenvoranschlag vorlegt.

Die Initianten schliessen Verträge mit den zuständigen Behörden ab. Es wird die Bergbaufirma Mineralschürf A.-G. in Küssnacht am Rigi gegründet und die Ausführung der Firma Dr. h.c. Anton Raky, Tiefenbohrungen, Salzgitter (südöstlich von Hannover), übertragen. 

Mitte April 1925 treffen in Uznach in mehreren Eisenbahnwagen die notwendigen maschinellen und technischen Einrichtungen ein und werden von dort ins Bohrgelände, wo sich einst der Tuggnersee ausbreitete, gebracht.

Im Riedland entsteht bald ein etwa 25 Meter hoher turmartiger Bau. 

Erdölausbeutung: «Man wird keines finden!»

Schon vor Bohrbeginn warnt Geologie-Professor Albert Heim (1849-1937) vor der Erdölausbeutung: «Man wird keines finden!»

Es kommt ein Schnellschlag-Spühlbohr-Verfahren mit elektrischem Kurbelantrieb zur Anwendung. Ein Bohrmeissel am Gestänge zertrümmert die Sohle in der Tiefe. Das zerschlagene Gut wird durch einen starken Spülwasserstrom über das hohle Gestänge zutage gefördert.

In kurzer Zeit kann auf dem Bohrkran eine Hilfsvorrichtung für rotierendes Bohren angebracht werden, um Bohrkerne, die Aufschluss über Lage und Zusammensetzung des Gesteins geben, auszuheben. Der Betrieb läuft unter der Leitung von Ingenieur Karl Scheibe dreischichtig Tag und Nacht ohne Unterbruch.

Das links Bild zeigt die Werkanlage mit dem etwa 25 Meter hohen turmartigen Bau in Tuggen um 1925 (Foto von Jürg Wyrsch zur Verfügung gestellt). Rechts: Schematische Darstellung des Bohrmechanismus (Bild aus «Automobil-Revue», Nr. 69/1925, mit Bericht «Die Erdölbohrungen bei Tuggen»). Bild: zVg/Collage: Linth24

1'640 m tief gebohrt und 1 Mio. Franken investiert

Nach einer einjährigen ergebnislosen Bohrtätigkeit erhalten die Arbeiter – 19 an der Zahl – die Kündigung. Sie werden aber weiterbeschäftigt, weil man glaubt, in einer Tiefe von etwa 1'000 Meter auf ölhaltiges Gestein gestossen zu sein. Schliesslich wird für über eine Million Franken 1'640 Meter tief gebohrt.

Nach drei Jahren vergeblichen Bemühens werden am 8. Juni 1928 die Bohrversuche eingestellt. Es ist so tief gebohrt worden, wie das «Hirzli», das eine fantastische Rundsicht über die Linthebene bietet, hoch ist, nämlich 1'640 m.

Gemälde «Ölturm in der Linthebene» (Georg Weber)

Um 1925 malt der Tuggner Künstler Georg Weber (1884-1978) das Bild «Ölturm in der Linthebene». Das Gemälde gilt heute als verschollen.

Seine Hauptwerke – Kirchenbilder in Schübelbach, Goldau und Oberwil BL – sind zerstört oder übermalt worden. Er gestaltet Stillleben, verfertigt Karikaturen, entwirft Plakate, zeichnet Akte, tut sich als Porträtist hervor.

Vor allem malt er reine heimatliche Landschaften und erwirbt dadurch den Ruf als «ästhetischer Betreuer der Linthebene». Er hält Naturausschnitte fest, in der Regel ohne Menschen und ohne störende zivilisatorische Elemente. Umso erstaunlicher erscheint der «Ölturm in der Linthebene». Damit setzt Georg Weber dem hochtechnischen Unternehmen in der Linthregion ein künstlerisches Denkmal.

Gemälde vom Tuggner Maler Georg Weber (1884-1978): «Ölturm in der Linthebene», 1925 (verschollen). Bild: zVg

Roman «Riedland»

Der Roman «Riedland» von Kurt Guggenheim (1896-1983) gehört zu den raren literarischen Werken mit der Linthregion als Schauplatz einer Erzählung. Das Buch aus dem Jahr 1938 schildert eine Liebesgeschichte und ein Beziehungsdrama, die der Autor mit regionalhistorischen Begebenheiten verknüpft: Der Suche nach «dem schwarzen Blut der Erde» bei Tuggen um 1925 und der Tragödie eines einheimischen Brandstifters, der um diese Zeit sein Unwesen treibt.

Feindliche Mächte: Natur und Technik

Mit «Riedland» gelingt Kurt Guggenheim der literarische Durchbruch. Der für einen Wettbewerb geschriebene Roman zeichnet sich durch eine naturwissenschaftlich genaue, sprachlich präzise Schilderung von Vorgängen in Natur und menschlicher Seele aus.

Der Autor beleuchtet eine Grenze, «wo die zwei ganz grossen feindlichen Mächte Natur und Technik aufeinanderstossen». Einen ausgeprägten Kontrast bilden auch die Hauptfiguren des Romans: auf der einen Seite das Liebespaar Marie (Postfräulen) und Rochat (Bohr-Ingenieur aus der Westschweiz) und auf der anderen Seite die gescheiterte Paarbeziehung von Therese (Lehrerin) und Bieli (Gelegenheitsarbeiter/Fremdenlegionär).

«Riedland» spielt in einer Welt der Rückständigkeit, des Aberglaubens und der Frömmlerei. In diesem miefen Milieu ist der Bohrturm eine Teufelskirche, für liberal Gesinnte hingegen ein Fortschrittssymbol wie «der Linthkanal, der Rickentunnel, das Kraftwerk im Wägital und die Transformatorenstation in Grynau».

Die Suche nach Öl in Tuggen verläuft letztendlich ergebnislos. Doch die Liebe zwischen Marie und Rochat übersteht diesen Rückschlag: Sie verlassen das Riedland, um in Genf voller Zuversicht zu heiraten, denn Rochat kann eine neue Stelle als Bohrmeister am Neuenburgersee antreten. 

Verfilmung «Riedland»

Der Film «Riedland» wird am 8. Dezember 1976 ausgestrahlt. Sein Thema: In die Bauern- und Naturwelt des Riedlands bricht unversehens die moderne Technik ein. Der Schweizer Regisseur Wilfried Bolliger verfilmt den Roman von Kurt Guggenheim im Auftrag des Fernsehens DRS.

Produzent ist Peter-Christian Fueter. Hauptdarsteller sind Anne-Marie Blanc, Robert Freitag, Jean-Martin Roy und Claudine Rajchmann. In weiteren Rollen: Hans Gaugler, Leontina Lechmann, Fritz Lichtenhahn, Walo Lüönd und Margrit Winter. Auch spielen Laiendarstellerinnen und -darsteller aus der Linthregion mit.

Gedenkstelle mit Linde

Auf Initiative von Herbert Gunz, damals Präsident von Pro Tuggen, wird um 1970 ein Lindenbaum gepflanzt und zwar genau dort, wo um 1925 der Ölbohrturm stand, unweit des heutigen Genossengadens im Zwüschetfachriet.

Der Baum, der um 1970 dort gepflanzt wurde, wo einst der Ölbohrturm stand. Bild: Stefan Paradowski

Am 8. September 2017 kann die Gedenkstelle mit Infotafel und Bank eröffnet werden, ein Gemeinschaftswerk von Pro Tuggen, Kulturkommission Tuggen und Stiftung Lebensraum Linthebene.

Von der Ölsuche sind einige Ölbohrkerne übriggeblieben. Pater Johannes Heim (1909-1991), Kollegium Nuolen, Herausgeber der «Kleinen Geschichte der March» (4 Bände 1968-1987), verwahrt sie lange bei sich. Seit ein paar Jahren befinden sie sich wieder in Tuggen, wo sie der Nachwelt erhalten bleiben.

Dr. Stefan Paradowski, Agentur für Kunst- und Regionalgeschichte, Lachen/Linth24