Wendy Holdener hatte immer daran geglaubt. Sie wusste, dass dieser Tag einmal kommen wird, ihr Tag, an dem der grosse Traum Wirklichkeit werden wird, an dem sie in einem Weltcup-Slalom schneller sein wird als alle ihre Konkurrentinnen.
Gut, schneller als alle anderen war die Innerschweizerin auch an diesem Sonntag nicht. Ebenso schnell wie sie war diesmal Anna Swenn Larsson - und zwar auf die Hundertstelsekunde gleich schnell. Auch die Schwedin siegte im Weltcup zum ersten Mal, auch sie verdiente sich diese Premiere redlich. Je dreimal Zweite und Dritte war sie im Slalom schon geworden.
Ausgerechnet in Killington
Wendy Holdener musste je fünfzehn Mal Zweite und Dritte werden, bis es nun endlich klappte mit dem grossen Wurf - ausgerechnet auf einem Hang, auf dem Mikaela Shiffrin alle fünf bisherigen Weltcup-Slaloms für sich entschieden hatte. Es passierte ausgerechnet in dem Ort, in dessen Nähe die Amerikanerin einst gelebt hatte und zur Schule gegangen war. Die Burke Mountain Academy liegt etwa zwei Autofahrstunden von Killington entfernt.
Mikaela Shiffrin hatte vorerst die Nase vorne
Mikaela Shiffrin hatte auch diesmal die Nase vorerst vorne gehabt. Sie führte das Klassement nach dem ersten Lauf mit 21 Hundertsteln Vorsprung vor Wendy Holdener an. Wiederum lag die Schweizerin in Front, als die Amerikanerin als Letzte zum zweiten Durchgang startete. Doch die Geschichte des zweiten Slaloms in Levi vor einer Woche, als Wendy Holdener selbst eine Fahrt nahe der Perfektion nicht genügt hatte, wiederholte sich nicht. Diesmal vermochte selbst Mikaela Shiffrin nichts auszurichten. Statt des 50. Sieges in einem Weltcup-Slalom blieb der langjährigen Dominatorin in der Endabrechnung hinter der Österreicherin Katharina Truppe und Olympiasiegerin Petra Vlhova aus der Slowakei nur der 5. Platz.
Erster Sieg
Wendy Holdener, die bisher mit drei Weltcup-Siegen, zwei in der Kombination und einem im Parallelslalom, zu Buche stand, sorgte für den ersten Slalom-Sieg einer Schweizerin seit knapp zwei Jahren. Michelle Gisin hatte im vorletzten Dezember in Semmering triumphiert und damit eine fast 19 Jahre dauernde sieglose Zeit im Frauen-Slalom für Swiss-Ski beendet. Damals, im Januar 2002 in Berchtesgaden, hatte es ebenfalls zwei Gewinnerinnen gegeben. Die Berner Oberländerin Marlies Oester hatte sich den Sieg mit der Amerikanerin Kristina Koznick geteilt.
3549 Tage nach dem ersten Podestplatz
Wendy Holdeners Podestserie im Slalom hatte vor gut neuneinhalb Jahren - oder vor exakt 3549 Tagen - in Ofterschwang begonnen. Im Allgäu hatte sie hinter Tina Maze und vor Mikaela Shiffrin den 2. Rang belegt. Dass sich die Schwyzerin der Slowenin beugen musste, hatte etwas Logisches, denn es war der Winter der Tina Maze, die in jener Saison im Zenit ihres Schaffens stand und ein Stück Ski-Geschichte schrieb. Elfmal war sie Erste, siebenmal Zweite und sechsmal Dritte geworden und hatte sich hoch überlegen die grosse Kristallkugel gesichert. 24 Klassierungen unter den ersten drei - eine Bestmarke wohl für die Ewigkeit wie das Total von 2414 Punkten.
Endlich gewonnen
Es war aber auch die Saison, in der Mikaela Shiffrin ihre ersten (vier) Weltcup-Siege feierte. Es war der Beginn einer Rivalität, in der WendyHoldener im Slalom immer den Kürzeren zog, wenn es zum Duell um den Sieg kam. Elfmal hiess die Reihenfolge an der Spitze nach einem Weltcup-Slalom Mikaela Shiffrin vor Wendy Holdener, ein weiteres Mal auch an den Weltmeisterschaften 2017 in St. Moritz. Auch wenn ihr die vielen "Niederlagen" aufs Gemüt schlugen, Wendy Holdener schöpfte daraus auch Motivation. Seit Sonntag hat sie die Gewissheit, dass sie mit ihrem Denken richtig lag.