Es gibt Menschen, die hören buchstäblich das Gras wachsen, ihnen entgeht kein Detail und sie erfassen in Sekundenschnelle die Gemütslage der Anwesenden, sobald sie einen Raum betreten: Die Rede ist von sogenannten hoch sensiblen Personen (HSP). Tanja Mächler aus Lachen hat sich zum Ziel gesetzt, die Bevölkerung über diese «angeborene Eigenschaft», zu informieren. Dieses Vorhaben setzt die diplomierte Expertin Notfallpflege und Coach für Hochsensible in öffentlichen Infoveranstaltungen um. Die nächste findet am 20. April in Altendorf statt. Auch in Schulen würde sie gerne Vorträge und Workshops halten – bislang sei sie aber nur bei einer Einsiedler Privatschule auf Interesse gestossen.
Kein Krankheitsbild
Tanja Mächler, die sich selber auch als hochsensibel bezeichnet, betont im Gespräch, dass es sich bei Hochsensibilität nicht um eine psychische Erkrankung, eine Störung der Persönlichkeit oder ein Syndrom handelt. Vielmehr sei dies eine Ressource, die einen Gewinn für die Hochsensiblen selbst und auch ihr privates und berufliches Umfeld darstellen kann. Sie möchte die Thematik bekannter machen und Hochsensibilität von ihrem Tabu befreien. Denn vielfach gelten hochsensible Menschen, die auch von ihren intensiv erlebten Reizen überflutet werden können, in den Augen anderer als «überempfindlich» oder «schwach». Oft genug fällt der Spruch: «Stell dich nicht so an!» Oder: «Reiss dich zusammen! » «Ich möchte hochsensiblen Menschen weitergeben, dass sie völlig normal sind», führt Tanja Mächler aus.
Wissenschaftlich umstritten
Das Konzept der Hochsensibilität wurde in den 1990er Jahren von der US-amerikanischen Psychologin Elaine N. Aron entwickelt. Das Konzept ist in Wissenschaftskreisen nicht unumstritten. Auch über die Verbreitung ist sich die Wissenschaft nicht einig. Einige Forscherinnen und Forscher gehen von einem Anteil von rund 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung aus. Andere nur von einem bis drei Prozent. Das Schwierige dabei: Da es kein Krankheitsbild darstellt, gibt es auch keine offiziellen Diagnosekriterien. Auch die Abgrenzung zu AD(H)S oder anderen Syndromen und psychischen Erkrankungen, die ähnliche Auswirkungen auf die Wahrnehmung und das Erleben haben, ist nicht immer einfach.
Selbstzuschreibung
Hochsensibilität ist im Gegensatz zu einer Diagnose eine Selbstzuschreibung, die mittels Fragebögen ermittelt wird. Diese Hochsensibilität-Selbsttests finden sich auch auf Deutsch im Internet, zum Beispiel auf hochsensible.eu. «Entweder fühlten sich Interessierte vom Fragebogen angesprochen und erkennen sich darin wieder oder eben nicht», so Mächler.
Hochsensiblen Menschen ist laut Tanja Mächler gemein, dass sie Sinneseindrücke und Emotionen sehr stark wahrnehmen. Sie verfügen zudem über eine hohe Empathiefähigkeit und sind sehr gewissenhaft, fast schon perfektionistisch. Zudem haben sie ein grosses kreatives Potenzial. Dass dies im Grossraumbüro-Alltag oder im vollen Klassenzimmer nicht immer einfach ist, liegt in der Natur der Sache.
Flut von Eindrücken
«Auch das Selbstwertgefühl leidet oft darunter», ergänzt Mächler. Denn Hochsensible hätten oft das Gefühl «fehl am Platz zu sein» oder «nicht in diese Welt zu gehören». Dies könne auch Depressionen und Ängste begünstigen. Wegen ihrer Reizempfindlichkeit würden sie oftmals von ihren Eindrücken regelrecht geflutet. Ihre hohe Empathiefähigkeit und Gewissenhaftigkeit lässt sie auch leichter ausbrennen als weniger sensibel Veranlagte – mit einem Burnout als mögliche Folge. Tanja Mächler möchte mit ihren Info-Vorträgen Hochsensiblen primär einen Schritt bei der Selbsterkenntnis entgegenkommen. «Es ist wichtig für die Einzelnen, zu erkennen, dass sie zu dieser Welt dazugehören, ohne sich zu verbiegen», hält sie fest.
Das Individuum im Zentrum
Im Grunde genommen weibelt Tanja Mächler mit ihrer Informationsoffensive aber nicht nur für Selbsterkenntnis, Achtsamkeit und Verständnis in Bezug auf Hochsensible. Alle könnten davon profitieren. Denn auch weniger Sensible sind von zunehmenden Leistungsdruck im Beruf oder in der Ausbildung und ständigen Reizen herausgefordert. «Am Ende steht für mich das Individuum im Zentrum – mit allen Stärken und Schwächen», fügt sie an.